von Christian Göppinger am Samstag 29.12.2018 21:10
Fit für den Schlussspurt
Fit für den Schlussspurt
In der Endrunde spielten unsere vier „men in black“ gegen die DJK Aufwärts St. Josef Aachen, welche auf Tabellenplatz 11 standen. Eine gut aufgestellte Mannschaft, die auf dem Papier gegenüber unserem Viererteam an den meisten Brettern ein paar hundert Punkte Vorsprung aufwies. In der Vorrunde spielten sie am ersten Tisch gegen den Hamburger SK, mussten hier jedoch eine vernichtende 0:4 Niederlage hinnehmen und waren entsprechend hungrig auf Mannschaftspunkte und einen starken Schlussspurt.
In dieser Hinsicht stand unser Team ihnen aber in nichts nach! Die Partien starteten bereits um 8.30 Uhr, dieses Mal an Tisch 5 – es war also wie in Runde 6 auch eine Übertragung in Echtzeit verfügbar.

An Brett 1 entwickelte sich eine wichtige Partie – nicht nur für das Team, sondern auch besonders für Oliver, da die Sweschnikow-Variante der Sizilianischen Verteidigung aufs Brett kam. Bei seiner letzten DJEM war dies seine Hauptverteidigung mit den schwarzen Steinen gegen 1.e4, allerdings erhielt er häufig gegen das moderne weiße Spielsystem mit 11.c4 unangenehme Stellungen und musste hier viele harte Niederlagen wegstecken. Sein Gegner (1662) hatte sich natürlich genau deswegen damit befasst, doch Oliver hat seine Hausaufgaben gemacht und war seinerseits bestens vorbereitet. Oliver spielte eine bekannte Theorievariante, in der er früh mit Zug 12 einen Bauern anbot, den sein Gegner nahm, was untypisch ist und darauf schließen lässt, dass Olivers Kontrahent mit dem häufiger gespielten 12. …a5 rechnete. Dieser erbeutete Bauer ist nämlich nicht haltbar und Oliver folge dem bekannten Rezept zur Zurückeroberung, während sein Gegner längst die eigene Vorbereitung verlassen hatte und mit 15. Sd3 eine schlechtere Stellung akzeptiere. Oliver gewann seinen Bauer mit leicht vorteilhafter Stellung zurück, während sich sein gegenüber merklich unwohl fühlte und mit 20. Da4?? Einen handfesten Patzer spielte. Die folgenden Computer-Züge wurden bärenstark von unserem Jugendspieler gefunden, sodass er bald eine absolute Gewinnstellung in Zug 24 auf dem Brett hatte, in der allerdings extrem viele Ressourcen bedacht werden müssen, was es sehr schwierig macht den besten Zug zu finden. Der stärkste Zug, das Läuferopfer 24…Lxg3, ist sehr schwer korrekt zu beurteilen, gewinnt aber forciert, da die weiße Königsstellung dem Angriff nicht standhalten kann, nachdem der Turm auf b8 auf b2 einschlägt und den Angriff über die zweite Reihe unterstützt. Etwas natürlichere Züge, wie 24. Ld3 sollten auch problemlos gewinnen. Olivers 24…Tbe8 war etwas zu vorsichtig, obwohl er sehr viel Zeit in den Zug investierte, hielt aber dennoch Vorteil. Im weiteren Verlauf konnte sich sein Gegner objektiv etwas zurückkämpfen, stand aber nach wie vor unter Beschuss am Königsflügel, was nach seinem ungenauen 29. Df3 spielentscheidend wurde. Oliver fand erneut die stärksten Züge, sodass sein Gegner unter dem Druck nachgab und mit 31. Tfe1 den letzten entscheidenden Fehler beging, den Oliver sofort konsequent und entschlossen bestrafte, was einen wichtigen, weiteren vollen Punkt für Ostfildern bedeutete! Damit führte unser Team 2:0, nachdem Leon bereits an Brett 4 als Sieger aus der Begegnung hervorging.

Brett 2 brachte für Ivan die weißen Steine in einer Französischen Verteidigung, die seine Gegnerin (1527) in die Fort-Knox-Variante leitete, welche entsprechend dem Namen als sehr fest und sicher gilt, aber nur wenige Gewinnchancen für Schwarz bereithält. Beide Seiten verließen früh ausgetretene Pfade, entwickelten ihre Figuren und machten sich für das Mittelspiel bereit. Ivan wollte es auch dieses Mal wissen und entschloss sich für heterogene Rochaden und den Sturm des eigenen h-Bauern, was dem Schwung mit der ganz großen Keule nahekommt, aber auch sehr riskant ist. Im 18. Zug rutsche Ivans Gegnerin bereits etwas aus. Das weiße 19. The1 hätte Dank der Fesselung auf der e-Linie einen Bauern gewonnen, Ivans Fortsetzung hielt die Stellung allerdings in den folgenden Zügen auch im Gleichgewicht und wenig später kamen bereits die Türme und Damen vom Brett, sodass sich beide Seiten in einem Endspiel mit zwei Leichtfiguren, König und 6 Bauern wiederfanden, in dem Weiß jedoch das Läuferpaar gegen die schwarze Kombination von Springer und Läufer besaß, was ein kleines, theoretischen Plus bedeuten sollte. Ivan nutzte seine Möglichkeiten gut aus und setzte seine Gegnerin unter Druck. Letztendlich kamen jedoch die schwarzfeldrigen Läufer vom Brett und der trickreiche schwarze Springer machte Ivans Läufer das Leben schwer, welcher tief im gegnerischen Lager unterzugehen drohte und schließlich durch eine Springergabel verloren ging, wonach die Partie leider trotz des schönen Spiels für uns verloren ging.
Der Sieg ist in greifbarer Nähe
Der Sieg ist in greifbarer Nähe

Am dritten Brett hatte Romeo die schwierigste Paarung der Runde, da sein Gegner (1528) ihm gegenüber 260 DWZ-Punkte Vorsprung aufwies. Davon ließ sich Romeo jedoch nicht beeindrucken und startete mit den schwarzen Figuren in die Abtauschvariante der Französischen Verteidigung. Hier sah es lange ausgeglichen aus, während beide Parteien mit natürlichen Entwicklungszügen ihre Streitkräfte mobilisierten und zunehmend Material vom Brett verschwand, bis sich beide Spieler in einem Endspiel mit Königen, jeweils 7 Bauern und einem Springer wiederfanden, das objektiv vermutlich im Remis enden sollte. Allerdings musste Romeos Gegner angesichts des aktuellen Punktestandes weiterspielen, da die Aachener zwei Siege benötigten um die Begegnung in ein Mannschaftsremis zu retten. Am Schluss versuchte Romeos Gegner zu krampfhaft Wasser aus Stein zu pressen und griff mit 42. Sd3 fehl, was Romeo Vorteil dank des starken Freibauers auf der a-Linie einbrachte. Trotz der besseren Stellung und des bislang sehr starken eigenen Spiels, entschied sich Romeo nun dazu, für das Team und für die Nerven aller Beteiligten nach diesem langen und anstrengenden Turnier, die Partie mit einem Remis zu beenden, was uns den Rundensieg und damit verbunden wichtige, weitere Mannschaftspunkte sicherte!

An Brett 4 ging es für Leon interessant los. Zur Abwechslung kam kein 1.e4 e5 oder Sizilianisch aufs Brett, da sein Gegner (1295) mit 1… d5 die Skandinavische Verteidigung entkorkte. Die Partie erreichte bald originelles Fahrwasser und bot in Zug 7 die erste Chance für Leon auf durch ein typisches Taktikmotiv mittels 7. Lxf7+! Kxf7 8. Sg5+ einen wichtigen Bauer auf f7 zu schnappen und den gegnerischen König von der Rochade abzuhalten, was vermutlich bereits Partieentscheidend gewesen wäre. Leons kurze Rochade war dennoch in Ordnung und sollte ihm angenehmes Spiel sichern. Mit Zug 9 drehte sich jedoch die Lage, da sich in der Brettstellung die Taktik gegen ihn wendete. Über die nächsten Züge hinweg ergatterte Leons Rivale einen vollen Läufer ohne Kompensation und es sah bereits so aus, als wäre die Partie gelaufen, doch Leon kämpfte verbissen weiter und setzte seine Chips auf einen brutalen Königsangriff, indem er alle Figuren vor dem gegnerischen König versammelte. Objektiv war die schwarze Stellung zu verteidigen, wenngleich gefährlich und es dauerte nicht lange, bis Leons Gegner mit 21…g6 ausrutschte und im Folgezug mit 22…e5 die Partie wegwarf, wonach Leon stark den langen, erzwungenen Weg zum Matt berechnete und diesen gnadenlos herunterspielte, was Ostfildern den ersten Punkt des Tages sicherte!

Leon, Valeria, Oliver, Ivan und Romeo bei der Siegerehrung
Leon, Valeria, Oliver, Ivan und Romeo bei der Siegerehrung
Ein gelungener Schlussspurt mit 2,5:1,5 dank starken Spiels an allen Brettern katapultierte unser Team zum Ende des Turniers mit 8 Mannschaftspunkten und 14 Brettpunkten auf Tabellenplatz 8!
Angesichts unseres Setzlistenplatzes 13 ein großartiger Erfolg und ein gelungenes Finale bei unserer ersten Teilnahme bei den DVM.

Das komplette Team aus Ostfildern vor Ort in Magdeburg
Das komplette Team aus Ostfildern vor Ort in Magdeburg
Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei allen Beteiligten bedanken, die in den vergangenen Tagen für uns die Daumen drückten und mitfieberten.

Großer Dank von unserer Seite gilt zudem der Bürgerstiftung Ostfildern, deren Unterstützung uns als ehrenamtlich organisierten Verein die Teilnahme im fernen Magdeburg und somit diese einzigartige erste Erfahrung als Team auf deutscher Ebene ermöglichte.

Ein großes Dankeschön gebührt zudem Jugendleiter Armin Jaeschke für sein unermüdliches Engagement und seine investierte Zeit in und auch außerhalb der DVM in Magdeburg, ohne welches unsere Jugendförderung in diesem Ausmaß nicht möglich wäre.

In diesem Zuge auch ein Dankeschön an die beteiligten Eltern, welche die vergangenen Tage an der Seite des Teams verbrachten und gleichzeitig als die größten Fans unseren vier Spielern den Rücken stärkten.

Als Pressewart gilt mein Dank an dieser Stelle zudem Jürgen Gatter für seine Einblicke und Einschätzungen, all den fleißigen Hobbyfotografen und Berichterstattern, die mich über das Turnier hinweg unentwegt und verlässlich mit den neuesten Informationen von vor Ort versorgten und all den interessierten Lesern für ihre positive Rückmeldungen im Verlauf der diesjährigen DVM.

Ich hoffe ich konnte alle am Geschehen vor Ort lebendig und aktuell Teil haben lassen und der Leistung unseren vier Jugendspieler gebührend Respekt zollen.

Unserem Team wünsche ich eine gute Rückreise und erholsame Zeit nach diesem Schachmarathon. Ich denke ich spreche im Namen aller, denn ihr habt im Laufe der Woche bärenstark gekämpft und selbst in den düsteren Stunden nie die Motivation und Leidenschaft für das Schachspiel verloren.
Wir sind stolz auf eure Leistungen, euren Teamgeist und euren Fortschritt, sowohl am Brett als auch abseits davon und freuen uns darauf euch wieder im heimischen Ostfildern begrüßen zu dürfen.

Wir sind gespannt, was die Zukunft für unser junges Team bereithält.

Christian Göppinger
Pressewart SC Ostfildern 1952 e.V.
30.12.2018